Von Götz Hoffart
Der Computer hat erst die Möglichkeit zur einfachen Datenverarbeitung mit sich gebracht. Vorher waren umständliche Lösungen wie Lochkarten gang und gäbe -- obwohl man durchaus darüber streiten kann, ob Programmabstürze nicht auch umständlich sind. Unbestreitbar bleibt jedoch, daß mit dem Siegeszug der digitalen Helferlein die versandte und bearbeitete Datenmenge um ein Vielfaches gestiegen ist. Es gibt Schätzungen, die besagen, daß heute an einem einzigen Tag die Datenmenge durch das Internet geschoben wird, wie sie im Jahr 1900 der Menschheit als Gesamtheit des niedergeschriebenen Wissens bekannt war.
Das beeindruckt natürlich. Zumindest auf den ersten Blick. Beim näheren Hinsehen dieser Datenströme im Terabyte-Bereich und darüber muß man feststellen, daß eine Unterscheidung zwischen Daten und Information unerläßlich ist. Joseph Weizenbaum, Erfinder von ELIZA und Computerkritiker, meint dazu: "Was wir in der Welt herumschicken, sei es als Bits oder als Buchstaben in einem Buch oder einer Zeitung, sind Daten. Sie werden erst durch Interpretation zu einer Information, und diese hängt vom Empfänger ab."
Doch die Empfänger sind überlastet. Privat erhalten wir jeden Tag Mitteilungen per EMail aus der ganzen Welt, die wir mittels Filtern vorsortieren, aussortieren und bearbeiten (zum Glück haben wir ja Computer). Im Büro ist die Pinwand überfüllt mit "lustigen Faxmitteilungen". Der geneigte Feierabend-Fernsehzapper legt die Fernbedienung mit Sehnenscheidenentzündung weg, da die empfangbare Kanalzahl in absehbarer Zeit in dreistellige Bereiche vorstößt.
Die interessantesten Seiten im World Wide Web kann man mittels Lotsen betrachten - anders würde man sie auch kaum finden. Die "Freiheit der Information", die sich viele vom Web versprachen, weil es keine vorgeschalteten Redaktionen gibt, die, wie in anderen Medien, vorsortieren, ist zwar theoretisch vorhanden -- praktisch ist sie aber nur in Teilbereichen nutzbar, da man aufgrund der unglaublichen Zahl von im Web verstreuten Neuigkeiten gerne redaktionell bearbeitete Newsseiten besucht.
Wohin geht das Informationszeitalter -- eine Zeit, in der die Bürger in den (post-)industriellen Ländern wie nie zuvor die Möglichkeit haben, sich zu bilden, sie aber wenig nutzen? Wir werden wohl bald dafür bezahlen, daß wir vor Reizüberflutungen verschont bleiben. So wie wir heute Geräte kaufen können, die die Werbung im Fernsehen ausblenden, werden die Lotsen und die vorbearbeiteten Seiten im Web zunehmen. Kostenlos geht das natürlich nicht. So lassen wir uns durch Passivität leider ein spannendes Stück Informationsgeschichte langsam dadurch nehmen, daß wir die Daten nicht mehr handhaben können.
Hans A. Pestalozzi, Soziologe, meinte dazu, wie ich finde, passend: "Haben wir denn derart jeden Maßstab verloren, daß wir glauben, der Mensch müsse sich neuen Technologien anpassen, statt daß wir als Vorbedingung jeder neuen Technologie fordern, daß sie dem Menschen angepaßt sein müsse?"
Frohe Weihnachten wünscht
Götz Hoffart
P.S.: Einige Tage nachdem ich dieses Editorial schrieb, stolperte ich zufällig über die folgende World Wide Web-URL, die ganz gut zum Thema paßt: http://www.heise.de/newsticker/data/cp-28.12.99-000/ ("Philosoph warnt vor Wissensverlust durch das Internet").