Von Thomas Burow
Bei vielen Atari-Anwendern wird die Botschaft noch gar nicht angekommen sein: Der Milan II wird auf Eis gelegt!
Was zunächst recht nüchtern wirkt, wird sich entscheidend auf den Atarimarkt auswirken und zu einem brisanten Thema werden.
Am 10.10.2000 veröffentlichte Ali Goukassian auf der Homepage der Milan Computersystems ein Statement, in dem er erklärt, dass die Entwicklung des Milan II aus diversen Gründen eingestellt wird.
Als Gründe werden diverse Probleme mit dem Zusammenstellen der Hardware genannt, z.B. technische Probleme, Rückzug eines Herstellers für einen zentralen Chip des Milan, etc.
Sicherlich werden viele Atari-User jetzt sehr enttäuscht sein, aber bleiben wir doch auf dem Boden der Tatsachen. Hatte der Milan II in der geplanten Form überhaupt eine Chance, sich im Markt zu behaupten? Die ehrliche Antwort muß eindeutig Nein heißen.
Mit Sicherheit wird diese Behauptung Grund für Diskussionen bieten, aber der Milan II wäre mit einem zu alten Prozessor viel zu spät an die End-User gelangt.
Klar hätten viele alteingesessene Atarianer den Milan gekauft und wären mit der Geschwindigkeitssteigerung sehr zufrieden gewesen. Die bisher benutzte Software wäre auf dem Milan II zu neuen Höhenflügen fähig gewesen.
Außerhalb des harten Atari-Kerns wäre es sehr schwierig geworden. Denn wie will man einem Otto-Normalverbraucher klar machen, dass ein 80-MHz-Rechner ihm das gleiche bieten soll, was die 1000-MHz-Gurke vom "Um die Ecke PC-Discounter" kann?
Design ist Geschmackssache und leider nicht ausreichend für einen Erfolg, denn in erster Linie kaufen die Kunden Geräte, die ihren Anforderungen genügen und schauen erst in zweiter Linie auf das Design.
Wirklich, oder ist es vielmehr die gewohnte Bedienung? Denn die Zeiten, als ein ST in wenigen Sekunden mit dem Startvorgang fertig war und das komplette Betriebssystem unveränderbar im ROM saß, sind doch auch beim Atari schon einige Zeit vorbei. Auch wenn Atari-Betriebssysteme noch sehr klein sind (betrachtet man die Komplexheit, mit dem sie sich dem Anwender darstellen) kann ein Neueinsteiger schnell unsicher werden. Wozu Auto-Ordner, Start-Ordner, Accessories usw.? Auch das Installieren von Programmen kann schnell unübersichtlich werden, wenn man sich mit dem System nicht auskennt.
Richtig ist zwar, dass in der Regel ein Programm einfach nur mit allen seinen Dateien in einen Ordner kopiert werden muß, aber schon beim Hilfesystem wird es beim Martin Neuuser schwieriger: Da müssen die Hilfedateien in den richtigen Ordner kopiert und der Katalog erneuert werden. Benötigt das Softwarepaket dann noch Autoordnerunterstützung oder ein Accessory, wird das Ganze schnell komplizierter. Und schließlich muß man auch noch einen Programmstarter konfigurieren. Wer will sich schon immer durch die ganzen Verzeichnisse hangeln. Unter Windows macht das alles ein Installer. Und ob dabei die Platte zugemüllt wird, ist unserem Martin Neuuser doch eigentlich ganz egal.
Für den Atari gibt es zwar nun seit einiger Zeit GEM Setup zum Installieren von Programmen, aber leider wird dieses tolle Programm viel zu wenig eingesetzt.
Alles in allem muß man froh über die jetzige Entscheidung der Milan Computersystems sein, denn ein Versagen des Milan II im Markt hätte dem Atarisystem einen harten Schlag zugesetzt. Es hätte viele bekräftigt, die meinen, mit einem Atari kann man gar nicht arbeiten und das sei alles Spielkram.
Ein schlechtes Image ist leider schnell geschaffen und läßt sich nicht so schnell wieder gut machen.
Besser ist es, ein sinnloses Projekt zu stoppen, um wirklich guten Ideen freien Raum zu geben.
Im Statement berichtet Ali Goukassian auch über die weitere Entwicklung. Er beschreibt Möglichkeiten, das Ataribetriebssystem auf gängiger Hardware zum Laufen zu bringen und das ohne Emulation. Dem kommt zugute, dass das derzeitige Milan OS aus einer hardwareabhängigen- und einer hardwareunabhängigen Schicht besteht. Der hardwareabhängige Teil soll durch einen Linux-Kern ersetzt werden und damit die Möglichkeit bieten, auf aktuellen Rechnern zu laufen. Der Linux-Kern dient dabei nur der Interpretation von Hardwarezugriffen, die vom Betriebssystem oder der Software vorgenommen werden.
Linux hat sich in der Computerbranche etablieren können und wird durch tausende Programmierer weltweit weiterentwickelt. Außerdem sind Treiber für neue Hardware immer schnell verfügbar und so dürfte die Ansteuerung diverser Schnittstellen wie USB oder FireWire und der Betrieb etlicher anderer Hardware wie Festplatten oder Netzwerkkarten kein Problem mehr darstellen. Die aufwendige Neuentwicklung von Treibern entfällt damit.
Der hardwareunabhängige Teil des Betriebssystems wird mit dem Linux-Kern verankert, sodaß Anforderungen der Software an eine Schnittstelle über einen genormten Interpreter an den Linux-Kern übergeben werden, der sie über die vorhandenen Treiber ausführen kann.
Geht man davon aus, dass dieses Konzept so funktioniert, wäre das eine ideale Lösung. So kann man sich seitens der Milan Computersystems voll auf den Softwareteil konzentrieren und trotzdem moderne Hardware nutzen. Die Zeiten, in denen neue Rechner in abgelegenen Garagen zusammengebastelt werden, sind nun mal vorbei und die Entwicklung geht einfach zu schnell voran, dass eine kleine Firma dem Stand halten könnte, zumal man bei der Milan Computersystems an einem Punkt angefangen hat, der schon damals nicht dem zeitlichen Stand der Technik entsprach.
Wie sich der jetzige Atarimarkt nun entwickeln wird, bleibt abzuwarten. Anzunehmen ist, dass einige User jetzt die Atari-Flinte ins Korn werfen und endgültig zu anderen Systemen wechseln. Auch einige Programmierer werden über die Weiterentwicklung ihrer Produkte nachdenken.
Feststellen muß man aber, dass die derzeitige Perspektive wesentlich besser ist als die Perspektive die sich noch vor kurzem bot. Deshalb hoffen wir, dass es keine Panik-Reaktionen seitens Atarianwendern und Programmierern geben wird!
Der Schritt der Milan Computersystems war aus unserer Sicht richtig, denn der Milan II hatte so im Markt keine Chance.
Die erregten Atari-Gemüter werden sich wieder beruhigen. Auch wenn es verständlich ist, dass sich der ein oder andere Anwender jetzt kräftig ärgert, sollte man diesem Entschluß Verständnis entgegenbringen.
Die neuen Pläne der Kieler Firma, auf einen Linux-Kern zu setzen und damit weitgehend hardwareunabhängig zu werden, hören sich sehr gut an und bieten den Atarianern die Möglichkeit, ihre geliebte Software auf wirklich zeitgemäßer Hardware zu nutzen.
Bleibt nur abzuwarten, ob die Milan Computersystems in der Lage ist die Theorie gut in die Praxis umzusetzen.
Wir wünschen dabei auf jeden Fall viel Erfolg.
Milan II wurde auf Eis gelegt I